Manifest für menschliche Sprache: Literaturübersetzende und K.I.

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Literaturübersetzende erfahren bereits jetzt, wie sich die Automatisierung von geistiger Arbeit und menschlicher Sprache auf ihre Arbeit und auch die Gesellschaft insgesamt auswirkt: Die Kunst, aber auch die Demokratie wird bedroht. Die deutschsprachigen Verbände der Literaturübersetzenden in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie ihre Unterstützer:innen warnen vor dieser Entwicklung und bitten dringend um Abhilfe.

Wir betrachten textgenerierende Künstliche Intelligenz als Technologie mit systemischem Risiko und halten eine starke Regulierung für unbedingt notwendig. Deshalb fordern wir:

1. die Regulierung von generativer KI:

  • Keine Sprachautomation ohne Offenlegung ihrer Funktionsweise und Trainingsdaten.
  • KI-Anbieter müssen klar angeben, welche urheberrechtlich geschützten Werke sie beim Training verwendet haben.

2. den Schutz von Urheberrechten:

  • Kein KI-Training mit unseren Werken gegen unseren Willen.
  • Kein KI-Training mit unserer Arbeit ohne angemessene Bezahlung.

3. Transparenz und Mitbestimmung:

  • KI-generierte Buchinhalte nur in Absprache zwischen Verlag, Autor:innen und Übersetzer:innen.
  • Kennzeichnungspflicht von reinen KI-Inhalten.

4. gezielte Förderung von Kulturarbeit:

  •  Literaturförderung nur für Menschen und ihre Werke.
  • Technikförderung darf nicht auf das Ersetzen von menschlicher Kreativität und Arbeitsleistung abzielen, sondern muss ihre Unterstützung zum Ziel haben.
  • Die Kulturtechnik des literarischen Übersetzens muss bewahrt und gestärkt werden, damit Weltliteratur nachhaltig geschaffen werden kann.

5. Rahmenbedingungen für eine mündige Leser:innenschaft:

  • Kennzeichnung durch Namen auf dem Buchcover: Menschliche Übersetzer:innen müssen auf den ersten Blick erkennbar sein.
  • Die Politik und die Zivilgesellschaft sind in der Pflicht, kritische Technik- und Sprachkompetenz zu fördern.

6. einen schonenden Umgang mit Ressourcen:

  • Der ökologische Fußabdruck von KI-Software darf nicht ignoriert werden.

7. gerechte Arbeitsbedingungen in der digitalen Welt:

  • Alle Menschen, die an und mit KI arbeiten, brauchen dafür ethisch vertretbare Bedingungen und eine angemessene Vergütung.

Was ist Literaturübersetzen?

Die Literaturübersetzung fördert das Verständnis zwischen Menschen mit unterschiedlichen Lebens­entwürfen und Weltsichten. Tatsächlich sieht die Welt in jeder Sprache anders aus – und zudem in der individuellen Stimme jedes Autors und jeder Autorin. Eine Literaturübersetzung ist eine Verwandlung dieser Stimmen, die selbst sinn- und beziehungsstiftend ist, aktiv neue Sprachwelten erschafft, ver­traute Sichtweisen hinterfragt und unbekannte Erfahrungen vermittelt. Übersetzende sind Expert:innen für Annäherung und Empathie. Für den Ton des Textes, der die Musik macht. Für stilistische Vielfalt, kulturelle Spezifika, die Literaturgeschichten unterschiedlicher Länder und die besonderen Fachgebiete und Genres, in denen sich die jeweiligen Werke bewegen.

Eine Übersetzung ist das Ergebnis eines individuellen Umgangs mit einem Ausgangswerk. Dieser Um­gang muss gewissenhaft verantwortet werden, nicht nur im eigenen Namen, sondern auch in dem des Autors bzw. der Autorin des Originals. Und die Gestaltung will gelernt sein: Wie ein Satz gebaut ist, worauf sich die Aufmerksamkeit jeweils richtet, lenkt das innere Erleben von Leser:innen. Wie Worte klingen, prägt die ästhetische Wirkung eines Texts und den „Raum“, den Autor:innen und Übersetzer:innen mit Leser:innen teilen. Was dabei gesagt wird und wie gut es recherchiert ist, verändert unseren Blick auf die Welt, auf Geschichte und Menschen. Die dafür nötige Sprachkenntnis bildet und schärft sich im aktiven Schreibprozess. Die Neuschöpfung eines literarischen Texts in einer anderen Sprache macht Übersetzende zu Urheber:innen eines neuen Werks.

Was sind Sprachroboter?

Wir begrüßen technische Werkzeuge, die die aktive schöpferische Arbeit unterstützen, beurteilen es aber kritisch, wenn mit ihnen diese Arbeit verdrängt oder abgewertet wird. Textgenerierende KI-Systeme können menschliche Sprache lediglich simulieren. Sie haben weder Gedanken noch Emotionen oder ästhetisches Empfinden, kennen keine Wahrheit, kein Weltwissen und keine Gründe für Übersetzungsentscheidungen. Sie „schreiben“ oder „übersetzen“ Texte, indem aufgrund von Wahrscheinlichkeitsrechnungen Wortfolgen aus gigantischen Datenbanken zusammengesetzt werden. Durch ihre Bauart sind Sprachsimulationen häufig unlogisch und voller Lücken, sie enthalten Ersatzbegriffe und -behauptungen, die nicht immer sofort als falsch erkannt werden, sie „halluzinieren“. KI-Systeme können keine Begriffsarbeit leisten, keine inhaltlichen und klanglichen Bezüge oder Sprachspiele erkennen und Ton und Register einer Stimme nicht interpretieren. Ihre Outputs müssen oft aufwendig überarbeitet werden, sodass nicht mehr, sondern weniger Zeit für die kreative Arbeit zur Verfügung steht.

In der Bewerbung von KI-Produkten wird suggeriert, die KI könne selbstständig arbeiten, „verstehen“ und „lernen“. Damit werden Unmengen an menschlichen Arbeitsleistungen verschwiegen, auf denen die angeblich „intelligenten“ Produkte beruhen. Zur Erstellung von Chatbots wurden Millionen von urheberrechtlich geschützten Texten aus illegal angelegten Bibliotheken im Internet „gescrapt“ (und sogar private E-Mails, etwa von Gmail!): Dies gilt als besonders erwünschtes, weil hochqualitatives Sprachmaterial. Hinzu kommen die abertausenden, oft vergessenen „Ghost Workers“ in Billiglohnländern, die unter unzumutbaren Bedingungen die wahllos gesammelten Daten von diskriminierenden und menschenverachtenden Inhalten reinigen. Ebenso wird die intellektuelle Leistung von Nutzer:innen abgeschöpft: Wer die kostenlosen Versionen von Chatbots und Überset­zungssoftware in ihren automatischen Voreinstellungen verwendet, stellt seine eingegebenen Texte, Vorlieben und Nutzerdaten zur Verfügung und trainiert die Modelle gratis mit. Denn KI-Systeme sind dauerhaft auf menschlichen Input angewiesen.

Künstliche Intelligenz ist keine Intelligenz, denn zu dieser gehört auch emotionale, moralische, soziale, ästhetische Intelligenz, praktische Vernunft und die Erfahrung, die sich aus Körperlichkeit und Bewe­gung speist. Insofern ist die technische Entwicklung von Sprachbots auch nicht als „Fortschritt“ zu bezeichnen. Gleichzeitig ist mit dieser die größte Konzentration an Daten, Kapital und Macht der Menschheitsgeschichte entstanden, eine nicht nur politisch hochproblematische Situation. Auch der Energiehunger der KI-Systeme ist enorm. So stellt sich in vielerlei Hinsicht die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Systeme.

Was gefährdet die Nachhaltigkeit unseres Berufs – und warum ist das exemplarisch?

In vielen Übersetzungsbereichen hat KI bereits Einzug gehalten und Übersetzende werden zunehmend als bloße Bearbeiter:innen (Post-Editor:innen) angefragt, die neben der gewohnten Fachkompetenz nun allerdings auch noch eine geschärfte Aufmerksamkeit für die spezielle Fehlerhaftigkeit von Maschinenoutput aufbringen müssen. „Produktionssteigerung“ rückt in den Mittelpunkt auf Kosten von Qualität, Kreativität und angemessenen Arbeitsbedingungen. Diese Entwicklung erzeugt auch bei Literaturübersetzenden Verunsicherung, Misstrauen und Resignation. Sollte sie im Bereich der Literatur Verbreitung finden, sehen wir den kulturellen Auftrag des Literaturübersetzens und die Zukunft des Berufs gefährdet.

Wenn nicht mehr der Mensch, sondern die Technik im Mittelpunkt steht, werden wir zu Zuarbei­ter:innen von Maschinen degradiert. Die Kosten für Sprachverfall und soziale Verwerfungen tragen wir und die Gesellschaft, während KI-Konzerne die Gewinne einfahren. Damit könnte nicht nur der Beruf des Literaturübersetzens unattraktiver werden. Wir würden eine Kulturtechnik aufgeben, die darauf beruht, dass Menschen aus allen Nuancen der Sprache schöpfen und sich über Texte begegnen und erfahren. Förderstrukturen und Ausbildungswege würden gefährdet, das Wissen der Übersetzenden würde gar nicht erst erworben werden können. Netzwerke und Institutionen könnten ihre Funktion verlieren, Übersetzende als intime Kenner:innen der Literaturszenen ausfallen – gerade bei kleineren Sprachen wäre das fatal.

Menschliche Sprache ist ein fragiles, leicht zu missbrauchendes Gut. Simulieren Maschinen menschli­che Sprache, werden sie nicht nur als denkende Wesen fehlinterpretiert, sondern auch aktiv für Mani­pulation in Politik und Weltgeschehen eingesetzt. Ein Weltbild, das davon ausgeht, man könne den Menschen als Maschine nachbilden, birgt zudem die Gefahr, dass man Menschen auch wie Maschinen behandelt.

MANIFEST FÜR MENSCHLICHE SPRACHE

1)    Menschliche Kreativität, sinnliche Erfahrung, Individualität, Weltwissen und das Bedürfnis nach Austausch sind für die Lebendigkeit von Sprache essenziell und erschöpfen sich nicht in zerlegbaren und berechenbaren Prozessen.

2)    Textgenerierende KI strebt die Ununterscheidbarkeit von Menschen- und Maschinensprache an und ist deshalb nicht als Werkzeug konzipiert, sondern als Ersatz für menschliche Kompetenz.

3)     Botsprache reproduziert immer nur den Status quo. Sie vervielfältigt Vorurteile, hemmt die Kreativität, die dynamische Weiterentwicklung von Sprachen und den Erwerb von Sprachfähigkeiten.

4)     Maschinelle Übersetzungssysteme beruhen unter anderem auf der nicht autorisierten, nicht honorierten und nicht gekennzeichneten Nutzung von urheberrechtlich geschützten Texten, das heißt auf geistigem Eigentum und menschlichen Fähigkeiten, die in jahrelangen Lebens- und Ausbildungszeiten erworben wurden.

5)     Maschinensprache täuscht die Leser:innenschaft über Autorschaft und Wahrheitsanspruch. Die Bezeichnung „Übersetzung“ wird im Kontext von KI-Systemen für eine Maschinensprache verwendet, hinter der keine Person steht und die nichts mit der genauen, reflektierten und verantwortungsvollen Arbeit einer menschengemachten Literaturübersetzung gemein hat.

6)     Damit wird u.a. das Ökosystem des Literaturbetriebs geschädigt, in und von dem Sprach­schöpfende leben, Ausbildung und Austausch organisieren und das Wissen und die Wissen­schaft vom Übersetzen entwickeln. Damit wird die Produktion von Weltliteratur gefährdet – denn diese, wie José Saramago schrieb, wird von Übersetzenden gemacht.

A*dS – Autorinnen und Autoren der Schweiz

IGÜ – Interessengemeinschaft von Übersetzerinnen und Übersetzern literarischer und wissenschaftlicher Werke (Österreich)

VdÜ – Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (Deutschland)