Zwei Gedichte

theodor-kramerTHEODOR KRAMER.

Trinklied vorm Abgang

Schon wird uns oft ums Herz zu eng,
es läßt uns niemals ruhn;
wir konnten manchmal im Gedräng
nicht ganz das Rechte tun.
Laßt in der Runde gehn den Wein,
horcht, wie die Zeit verrinnt;
die Menschen werden kleiner sein,
wenn wir gegangen sind.

Uns wäre eingereiht, behaust
und vorbetreut nicht wohl;
wir konnten noch in unsrer Faust
vereinen Pol und Pol.
Laßt in der Runde gehn den Wein,
horcht, wie die Zeit verrinnt;
die Menschen werden schwächer sein,
wenn wir gegangen sind.

Ob altes Maß, ob neues Maß,
wir müssen bald vergehn;
was schadet’s bleibt nur dies und das
von uns als Zeichen stehn.
Laßt in der Runde gehn den Wein,
horcht, wie die Zeit verrinnt;
die Menschen werden freier sein,
wenn wir gegangen sind.

***

An einem schönen Herbsttag

An einem schönen Herbsttag möcht ich sterben,
der schon ein wenig rauh und frostig ist,
vor unserm alten Haus daheim im herben
Geruch von Unkraut und von Rankenmist.

Den Hauch der schwarzen Schalen möchte ich schlürfen,
die von den Nüssen fallen, und den Pflug
die morschen Stoppeln stürzen sehen dürfen
ins fette Erdreich bis zum letzten Bug.

Dann könnt ich leichter glauben, dass das gleiche
Gesetz, nach dem der Fechsung morscher Rest
den Boden  wieder düngt, auch mir das Gleiche
gewährt und mich nicht ganz vergehen lässt.